Kurz nach 18 Uhr hat mich dann Clay abgeholt und zum Pub in
Norseman gebracht. Dave hatte organisiert, dass jeder von uns ein Zimmer über Nacht im Pub
bekommt. Clay hat mir also mein Zimmer für die Nacht gezeigt. Ich habe mich
dann frisch gemacht und mich in Schale geschmissen. Völlig unwissend, dass
gleich die größte Herausforderung auf mich wartete, die ich bis jetzt in einem
Job in Australien zu bewältigen hatte, trat ich meinen Weg hinter die Bar an.
An der Bar angekommen, schimmerte mir schon, was der Abend für mich bereit
halten würde. Mittlerweile strömten alle schon gut angetrunkenen Besucher vom
Pferderennen in die Stadt und viele von denen auch in den Pub. Es war mit
Sicherheit der Tag des Jahres, an dem der Pub am vollsten ist. Der Tresen auf
der anderen Seite war voll mit immer noch durstigen Leuten, gierig und
ungeduldig nach neuen Drinks und Essen. Auf meiner Seite der Bar war nur Floss,
eine Neuseeländerin, die hier regelmäßig arbeitet. Sie war super freundlich, ich
bemerkte aber schon, dass sie ziemlich beschäftigt war und nicht wirklich Zeit
hatte mir alles zu erklären. Zudem war der Bottleshop hinter der nächsten Tür
noch offen, den wir gleichzeitig mit der Bar auch noch abfertigen mussten. Ich
fand mich also im absoluten Chaos wieder. 2 Kassen, eine im Bottleshop, eine in
der Bar. Beide grundverschieden und ich hatte sie nie zuvor gesehen, geschweige
denn bedient. Die Beschriftungen der Tasten waren teilweise schon sehr
verwischt. Keine Ahnung, was man macht, wenn jemand mit Bankkarte bezahlen
will. Kein Plan, wo man die ganzen Drinks in den Kühlfächern findet. Wo finde
ich denn diese eine bestimmte Weinflasche im Bottleshop in einem Regal mit 1000
anderen Weinflaschen? Nie zuvor hatte ich in solchem Ausmaße Getränke mixen
müssen. Dann hatte auch noch jedes Getränk einen eigenen Knopf auf der Kasse.
Nächstes Problem: Bier zapfen. Nie zuvor gemacht. Dann gibt es verschiedene
Glasgrößen in Western Australia. Von groß nach klein sind das Pint, Schooner,
Middy und Glas. Dann gibt es 3 verschiedene Bierarten in Australien.
Fullstrength Bier (normales Bier), Midstrength (3,5% Vol) und Lightbeer
(schmeckt fast wie Wasser). 4 Glasgrößen x 3 Bierarten = 12 verschiedene Knöpfe
auf der Kasse. Muss ich noch mehr sagen. Wo finde ich die verdammten Gläser? An
einer anderen Maschine mussten Wetttickets gescannt werden und der Betrag
ausgezahlt werden. Dann gab es auch noch ein Menü für Essen. Wie sieht denn die
verdammte Bestellung für die Küche aus? Wo ist denn eigentlich die Küche?
Ahhhhhhhhhhhh… Das darf doch alles nicht war sein. Das waren nur so einige
Probleme mit denen ich zu kämpfen hatte. Nie zuvor hat man mich in dermaßen
kaltes Wasser geworfen. Aber nach 19 Monaten habe ich gelernt, wie man an
solche Sachen herangeht. Floss hat mir echt geholfen, wo sie nur konnte, aber
mir war nach der ersten Minute schon klar, dass ich mir hier alles irgendwie
selbst erklären muss. Das Wichtigste war jetzt, nicht ungeduldig zu werden und
bloß nicht die Kontrolle zu verlieren. Nach und nach versuchte ich mir mit ein wenig Logik
und Herumsuchen, die meisten Dinge selbst zu erklären. Manchmal konnte mir aber
echt nur Floss weiterhelfen und die Leute an der Bar mussten dann natürlich
ziemlich lang auf mich warten. Manche waren sehr ungeduldig und schmissen mir
ein paar unfreundliche Wortbrocken entgegen. Aber das war mir zu diesem
Zeitpunkt scheißegal. Ich wollte einfach nur das System verstehen. Und es hat
sich tatsächlich ausgezahlt. Nach ca. 20 Minuten hatte ich die meisten
grundlegenden Dinge verstanden und nach weiteren 20 Minuten war ich drin. Es
fing an Spaß zu machen. Ich habe Biere gezapft wie ein Weltmeister, die Tasten
in die Kasse gehauen, Essensbestellungen entgegen genommen als ob es keinen
Morgen gäbe, Kreditkarten ohne Ende abgerechnet, Preise im Bottleshop gescannt
und am wichtigsten, die durstigen Mäuler mit neuem Alkohol versorgt :) Selbst Floss fand ein
Stück ihres Lächelns wieder. Und dann kam mein großer Moment. Dave kam zur Bar
und meinte erstmal, dass ich fantastisch in meiner Bügelfaltenhose und meinem
schwarzen Hemd aussah. Als er mich dann Bierzapfen sah, ich schwör, er war schon
ein wenig überrascht und stolz, dass sein Mitarbeiter das so gut hinbekommt. Lustigerweise
musste ich dann Dave sogar, der ja mein eigentlicher Boss in Balladonia ist,
nach seiner Kreditkarte fragen, da er auf Tab (Anschreiben lassen) bestellt
hatte. Sehr witzige Situation. Mein Boss ist mein Kunde :D
Gegen 21 Uhr hatten mich Clay und Marion dann erlöst. Meine
Schicht hinter der Bar war zu Ende, ich habe mir erstmal einen leckeren
Fischburger bestellt und zusammen mit Marion und Clay Abendbrot gegessen. Was
für ein paar überragende Stunden. Was für ein überragender Tag.
Das war mal wieder australisches Kino auf ganz hohem Niveau.
Aber der Tag war noch nicht zu Ende. Nach 10 Stunden arbeiten entschloss ich mich auf den Weg zur anderen
Seite der Bar zu machen anstatt ins Bett zu fallen. Auf meinem Weg dorthin habe
ich Dave getroffen. Er hat mir zu meiner tollen Schicht hinter der Bar
gratuliert und ich kann euch echt sagen, auch wenn er das nicht gesagt hat, er
war beeindruckt, dass ich das so gut hinbekommen habe. Dave hatte schon so eine
Vorahnung wie der Tag enden würde und meinte nur: „Ich fahre morgen früh 7 Uhr zurück nach Balladonia. Mit oder
ohne Euch.“ Er wollte glaube ich damit nur sagen, dass wir soviel trinken
können, wie wir möchten, solang wir morgens im Auto sitzen und nachmittags
wieder arbeiten können :)
Ich habe mir also das größtmöglichste Feierabendsbier bei Floss bestellt. Dann
ging es mit Heidi und unseren Kollegen von der BP in Norseman in einen Workers
Club. Keine Ahnung was es genau war, aber es spielte eine Live-Band und ich sah
viele bekannte Gesichter vom Pferderennen wieder, mit nur einem Unterschied,
dass sie nun noch betrunkener waren. Wir hatten viel Spaß dort und es würde mal
wieder den gesamten Rahmen sprengen hier alle Geschichten aufzuzählen. Und wie
das in einer Outbackstadt so ist, kamen da doch tatsächlich einige Leute zu mir
und meinten: „Hey, du bist doch der Barkeeper vom Pferderennen heute.“ „Ja, das
bin ich.“ Da verbringt man ein paar Stunden in Norseman und bleibt den Leuten
als „Sebastian, der Barkeeper“ in Erinnerung. Ach, wie schön. Dann bestellte
ich mir gerade ein Bier als ich die weibliche Küchenhilfe aus dem Pub 5m weiter
an der Bar sah. Ich will ja nicht schlecht über Leute reden, aber sie war echt
nicht die Hübscheste. Das ist eigentlich noch ziemlich nett ausgedrückt ;) Sie winkte mir zu und
schrie fast: „Hey Sebastian“ Dann sah ich sie, wie sie ihren Freundinnen
versuchte stolz zu erklären, dass sie mit mir heute im Pub zusammengearbeitet
hat. Ihre Freundinnen waren aber allesamt auch nicht viel hübscher. Ich gab ihr
also einen höflichen Wink und ein kleines Lächeln aus Anstatt zurück und versuchte
mich irgendwie ihrem Blickwinkel zu entziehen. Jaja, Berühmtheit bringt eben
auch viele Schattenseiten mit sich :D
Gegen Mitternacht war ich eigentlich
schon auf den Weg zurück zum Pub und in mein Bett bevor mich Lena ins „Partyhaus“
von Norseman eingeladen hatte. Das Partyhaus gehört Norman, ein Phillippino,
der Küchenchef in der BP Tankstelle in Norseman ist. Mir wurde auch schnell klar, warum es
das Partyhaus ist. Laute Musik, betrunkene Leute und ohne Ende Alkohol und
Essen umsonst. Naja dort bin ich dann noch bis 3 Uhr geblieben bevor ich
totmüde und überglücklich in mein Bett gefallen bin. Ein perfekter Tag ging zu
Ende. Das waren mal wieder Erlebnisse, die man einfach nicht vergisst. Ich
glaube als Barkeeper habe ich auch meine zweite Berufung gefunden. Das hat echt
super viel Spaß gemacht, mal hinter einer richtigen Bar zu arbeiten. Da kann
ich Dave eigentlich gar nicht genug danken, dass er mir nicht nur den Job
hinter der Bar beim Pferderennen, sondern auch noch im Pub besorgt hat. Leider, leider war ich im Pub so beschäftigt, dass ich nicht mal ein Bild machen konnte. Auch im Workers Club habe ich wieder anderen Dingen Priorität geschenkt anstelle des Bilderknipsens. Einzig von Normans Partyhaus habe ich ein paar Bilder auf meiner Kamera am nächsten Morgen gefunden.
PS: Ich habe es nach 3 Stunden Schlaf in Dave’s Auto
geschafft und habe nachmittags auch schon wieder in Balladonia gearbeitet.
Wahnsinn was du alles erlebst. Liest sich super. Mein Jahr ist grade losgehangen und es war noch nicht so aufregend. Aber wird bestimmt noch besser
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